Basisinformationen

Wie wird Verschwindenlassen definiert?

“Im Sinne dieses Übereinkommens bedeutet Verschwindenlassen die Festnahme, den Entzug der Freiheit, die Entführung oder jede andere Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird.” (Internationales Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, Artikel 2)

Das Verschwindenlassen besteht somit aus vier kumulativen Elementen:

  1. einem legalen oder illegalen Freiheitsentzug,
  2. der Beteiligung von staatlichen Funktionsträgern, zumindest durch Duldung,
  3. der Weigerung, die Freiheitsentziehung anzuerkennen, der Verheimlichung des Schicksal oder des Aufenthaltsort der verschwundenen Person,
  4. wodurch der Person jede Möglichkeit des Rechtsschutzes entzogen wird.
Warum verschwinden sie?

Im Einzelfall kann nur selten nachgewiesen werden, aus welchem Grund eine Person verschwunden ist. Das gewaltsame Verschwindenlassen wird jedoch häufig als Strategie zur systematischen Verbreitung von Terror und Angst in einer Gesellschaft oder einem bestimmten Teil der Gesellschaft eingesetzt. Das Gefühl der Unsicherheit und Angst, welches durch das Verschwindenlassen hervorgerufen wird, beschränkt sich dabei nicht auf die nahen Angehörigen der Verschwundenen, sondern betrifft auch die lokale Gemeinschaften und die Gesellschaft als Ganzes.

Während die Praxis des Verschwindenlassens vor allem mit den lateinamerikanischen Militärdiktaturen assoziiert wird, welche das Verschwindenlassen im Zuge des sogenannten schmutzigen Krieges insbesondere zur Bekämpfung politisch Andersdenkender einsetzte, ist das Verschwindenlassen heute weder auf Lateinamerika, noch die politische Arena beschränkt. Zunehmend werden auch andere Muster der Praxis deutlich, die regional auch innerhalb eines Staates variieren können.

Opfer des Verschwindenlassens

Opfer des Verschwindenlassen sind nach Art. 24 der Konvention „die verschwundene Person sowie jede natürliche Person, die als unmittelbare Folge eines Verschwindenlassens geschädigt worden ist.“ Nachdem eine Person aus dem Schutzbereich des Rechts entfernt und aus der Gesellschaft verschwunden ist, wird sie aller ihrer Rechte beraubt und ist den Täter*Innen vollständig ausgeliefert. Verschwundene Personen werden häufig misshandelt oder gefoltert und fristen ein Dasein in ständiger Angst um Ihr Leben. Die Verschwundenen sind sich dabei sehr wohl bewusst, dass ihre Familien, Freund*Innen und Kolleg*Innen nicht wissen, was mit Ihnen passiert ist. Auch wenn der Tod nicht am Ende des Weges steht und die verschwundene Person schließlich aus dem Alptraum befreit wird, bleiben die physischen und psychischen Narben der Entmenschlichung, Brutalität und Folter oft bestehen.

Das Verschwindenlassen wirkt sich zudem mannigfaltig auf Personen, die als unmittelbare Folge des Verschwindens der Person geschädigt worden sind. Mütter, Lebenspartner*Innen oder Kinder einer verschwundenen Person, durchleben oftmals starke Gefühle von Hoffnung, Verzweiflung und Ohnmacht. Sie warten häufig jahrelang auf Informationen über das Schicksal der verschwundenen Person, die allzu of ausbleiben. Die Betroffenen erleben eine meist langwierige seelische Qual, da sie nicht wissen, ob die verschwundene Person noch am Leben ist, ob und wenn ja, wo und unter welchen Bedingungen sie festgehalten wird, und in welchem Gesundheitszustand sie sich befindet. Die schwierige Situation einer Familie etwa wird häufig durch die materiellen Folgen des Verschwindens noch verstärkt. Oft ist die verschwundene Person für die Ernährung der gesamten Familie zuständig oder ist das einzige Familienmitglied, das in der Lage ist, die Feldfrüchte anzubauen oder den Familienbetrieb zu führen. Der emotionale Aufruhr wird also durch materielle Entbehrungen verstärkt, die durch die Kosten für eine eventuelle Suche noch verschärft werden. Die Ungewissheit darüber ob und wann ihre geliebte Person zurückkehren wird, macht es für die Betroffenen schwer, sich an die neue Situation anzupassen. In einigen Fällen kann es aufgrund der nationalen Gesetzgebung unmöglich sein, eine Rente zu beziehen oder andere Unterhaltsmittel zu erhalten, solange keine Sterbeurkunde vorliegt. Wirtschaftliche und soziale Marginalisierung ist häufig die Folge.

Wo verschwinden sie?

Seit ihrer Einsetzung im Jahr 1980 wurden der UN-Arbeitsgruppe gegen gewaltsames und unfreiwilliges Verschwindenlassen (WGEID) insgesamt 57.891 Fälle aus 108 Staaten übermittelt. In ihrem Bericht aus dem Juli 2019 beziffert die Arbeitsgruppe die Zahl der aktiv behandelten Fälle, die noch immer nicht geklärt, abgeschlossen oder eingestellt worden sind, auf 45.811 aus insgesamt 92 Staaten. Während die absoluten Fallzahlen nicht als Indikator für die absolute Zahl der Verschwunden weltweit hergenommen werden können – allein in Mexiko gelten nach offiziellen Zahlen in den letzten 15 Jahren über 60.000 Personen als verschwundenen – macht diese Statistik doch zwei besorgniserregende Sachverhalte deutlich. Zum einen wird der Großteil der Fälle nicht aufgeklärt, und zum anderen ist das Verschwindenlassen zu einem globalen Problem geworden, das keineswegs auf ein bestimmtes Land oder eine Region der Welt beschränkt ist.

Einst vor allem von (lateinamerikanischen) Militärdiktaturen genutzt, kommt es heute in jeder Region der Welt und in den verschiedensten Zusammenhängen zum Verschwindenlassen. Das Verschwindenlassen wird dabei häufig in internen Konflikten eingesetzt und insbesondere von Regierungen, die versuchen, politische Gegner zu unterdrücken. Es ist in Ägypten und Syrien genauso präsent wie in Thailand und KolumbienIn Spanien gibt es immernoch über 150.000 Fälle von Verschwundenen aus der Franco Zeit , die ungelöst geblieben sind. Das gewaltsame Verschwindenlassen ist nach internationalem Recht ein fortlaufendes Verbrechen. Das bedeuted, dass das Vebrechen solange andauert, wie die das Schicksal der verschwunden Person unbestimmt ist. Informationen zu Staaten und Regionen finden sich in der Sektion Länderberichte.

Die Suche nach Verschwundenen

Bei der Suche nach Verschwundene treten immer wiederkehrende Probleme auf. Oftmals sucht die Polizei – wenn überhaupt – erst mit Verzögerungen nach den verschwundenen Menschen oder weigert sich gar, eine Anzeige wegen Verschwindenlassens aufzunehmen. Suchende Familienangehörige werden immer wieder von staatlichen Institutionen eingeschüchtert, falsch oder unzureichend informiert, damit sie ihre Suche einstellen. In manchen Ländern ist nur die Staatsanwaltschaft für die Suche zuständig. Sie sucht dann in erster Linie nach den Tätern, nicht aber nach den verschwundenen Personen selbst. Tausende Menschen sind in Zeiten von Diktatur, politischer Gewalt oder Krieg verschwunden. In diesen Fällen sind oft Massengräber bekannt, in denen nicht-identifizierte Leichname liegen. Dann muss erst einmal aufwändig geklärt werden, wer die Toten sind. Durch die großen Fortschritte in der Forensik, etwa die Identifizierung über die DNA, ist das mittlerweile öfter als früher möglich geworden. Leider fehlen jedoch häufig die nötigen Ressourcen, um den Identifizierungsprozess nach internationalem Standard durchzuführen. Gerade die Unabhängigkeit der verantwortlichen Institutionen und ihre Ausstattung mit den notwendigen finanziellen und technischen Ressourcen sind wichtige Aspekte. 

Der UN-Ausschuss gegen das Verschwindenlassen (CED) hat im April 2019 Leitprinzipien für die Suche nach verschwundenen Personen verabschiedet. Sie sind für Familienangehörige sowie für Vertrags- und Nichtvertragsstaaten ein wichtiges Instrument, um die Suche nach Verschwundenen effizienter zu gestalten und die Rechte von Familienangehörigen zu stärken. Nach den Leitlinien sollte jede Suche unmittelbar eingeleitet werden und unter der Annahme, dass die gesuchte Person noch am Leben ist geführt werden. Bei der Suche ist auf ein effizientes, koordiniertes und strategisches Vorgehen zu achten, welches die Angehörigen miteinbezieht, achtet und schützt. Dabei sollte die Suche stets auf einem differenzierenden Ansatz beruhen und alle potentiell relevanten Informationen einbeziehen d.h. es sollte in unterschiedliche Richtungen ermittelt werden. Die Leitprinzipien weisen zudem darauf hin, dass es die Angehörigen der verschwundenen Person einbezogen werden, über den Stand der Ermittlung in Kenntnis gesetzt werden und die Möglichkeit haben müssen, das Vorgehen der Suche mit einem für alle einsehbaren Suchprotokoll zu vergleichen. Im Mittelpunkt der Suche sollte dabei stets der Wille stehen, die verschwundene Person lebend aufzufinden. Die Suche ist eine andauernde Verpflichtung und sollte nicht ausgesetzt werden bis der Verbleib der verschwundenen Person geklärt ist und sie ihr Recht auf Anerkennung als Person vor dem Gesetz geltend machen kann. Die Suche nach der Person sollte dabei stets mit einer strafrechtlichen Untersuchungen bezüglich der Täterschaft verknüpft sein. Primäres Ziel ist und bleibt jedoch, die verschwundene Person lebend zu finden. Da Agenten des Staates oft direkt oder indirekt am Verschwindenlassen beteiligt sind, ist zuletzt unbedingt darauf zu achten, dass die Suche auf unabhängige und unparteiische Weise durchgeführt wird. Wie alle offiziellen Dokumente der Vereinten Nationen wurden die Leitprinzipien von der UNO in den offiziellen UN-Sprachen veröffentlicht. Die Leitprinzipien finden sich in allen offiziellen Sprachen hier. Inzwischen hat jedoch dankenswerterweise der deutsche Übersetzungsdienst bei den Vereinten Nationen in New York auch eine offizielle deutsche Übersetzung dieser Leitprinzipien erarbeitet. Diese vollständige Übersetzung kann hier eingesehen werden.

Historischer Hintergrund

Mag auch der Terminus Verschwindenlassen vor allem im Deutschen ungewöhnlich sein, der damit bezeichnete Tatbestand ist es nicht. Den Ursprung dieses Verbrechens in der Moderne finden wir einmal mehr im Terrorregime des Nationalsozialismus. Bei Nacht und Nebel, befahl Hitler Ende 1941, sollten Gegner des NS-Regimes festgenommen und dann an unbekannte Orte im Reich verschleppt werden – es sei denn, die Militärjustiz würde sie unverzüglich hinrichten lassen. Das spurlose Verschwinden dieser Personen, so dachten die Nazis, demoralisiere die Bevölkerung der besetzten Gebiete mehr als die bloße Todesstrafe, und vor allem verhindere die Ungewissheit über das Schicksal dieser Verschleppten, dass die Angehörigen zu Märtyrern würden. Mehr Informationen zu Mythos und Bedeutung von Nacht und Nebel im Zusammenhang mit dem Verschwindenlassen finden sich hier.

Diese Idee fanden Jahrzehnte später einige Militärdiktaturen in Lateinamerika so überzeugend, dass sie die Praktik des Verschwindenlassens perfektionierten und zu einem Angelpunkt ihrer Unterdrückungsmaschinerie machten. Tausendfach verschleppten in den siebziger und achtziger Jahren vor allem in Chile und Argentinien, aber auch in zentralamerikanischen Staaten, Angehörige der Sicherheitskräfte Regimegegner aus ihren Wohnungen, entführten sie von der Straße oder nahmen sie von der Arbeit mit. Die wenigsten der auf diese Weise Verschwundenen kehrten zurück, nicht einmal ihre Leichen wurden gefunden. Das Schicksal der Verschwundenen war zwar fast nie im Einzelnen nachzuvollziehen, doch am Ende stand wohl fast immer der Tod. Dazwischen lagen in aller Regel Tage, Wochen oder Monate grauenhafter Folter. Für die Angehörigen und Bekannten der Verschwundenen begann die Zeit der unerträglichen Angst, genährt vom ungewissen Wissen um das Schicksal der Verschwundenen, eine Angst, die durch aufblitzende kleine Hoffnungen, die verschwundene Person könne doch wieder auftauchen, nur noch verzweifelter wurde. Und es begann die Zeit der unaufhörlichen Suche, der Antworten „Wir wissen von Nichts“, „Sie wird halt mit einem Andern fort sein“, oder „Fragen Sie doch seine Guerilla-Kumpane“. Zur brutalen Zerstörung von Familien und sozialen Zusammenhängen kam höhnischer Zynismus der Mörder.

Der Weg zur UN-Konvention

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die nach dem Krieg in ihren verschiedenen Artikeln eine Antwort auch auf die NS-Verbrechen geben wollte, ächtete die Folter, die willkürliche Verhaftung, die Verweigerung eines gesetzlichen Richters, die außergesetzliche Hinrichtung und andere Taten, die das gewaltsame Verschwindenlassen begleiten. Ein Recht, nicht gewaltsam verschwunden zu werden, hat sie ebenso wenig formuliert, wie später die Menschenrechtspakte von 1966. Die Verfasser dieser Dokumente waren noch nicht mit der systematischen Praxis des Verschwindenlassens durch Unrechtsregime konfrontiert. Doch die Betroffenen vor allem in Lateinamerika begannen zu erkennen und zu fühlen, dass das „Verschwindenlassen“ mehr als die Summe all dieser Verbrechen ist. Sie mussten das Besondere dieses Verbrechens in ihrem eigenen Leben erfahren und verlangten, dass auch die Welt es verstünde und anerkennte.

1978, schon zwei Jahre nach Beginn der argentinischen Militärdiktatur und fünf Jahre nach Pinochets Putsch in Chile, verabschiedete die UNO-Generalversammlung eine Resolution, in der sie dieses Verbrechen bei seinem Namen nannte und ihre Sorge über die zahlreichen Fälle von Verschwindenlassen ausdrückte. Die Resolution im Orginal findet sich hier.

Zwei Jahre später, die Diktatoren in Chile und Argentinien saßen noch immer fest im Sattel, berief die Menschenrechtskommission der UNO eine Arbeitsgruppe von fünf unabhängigen Experten ein, die das Verbrechen des Verschwindenlassens umfassend untersuchen und gleichzeitig Möglichkeiten entwickeln sollte, den Betroffenen zu helfen. Neben der Dokumentation der Fälle und der – bescheidenen – humanitären Hilfe bemühte sich die Arbeitsgruppe zugleich, den besonderen Charakter des Verbrechens des Verschwindenlassens weiter herauszuarbeiten und daraus auch die Konsequenzen für das Völkerrecht zu ziehen. Diese Arbeitsgruppe, die Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances (WGEID) besteht bis heute als Organ des Menschenrechtsrats. In ihrem Bericht von 2010 spricht sie von ca. 50.000 Fällen gewaltsamen Verschwindenlassens in über 80 Ländern, die ihr während ihrer dreißigjährigen Tätigkeit gemeldet wurden.

Der Fall Velásquez-Rodríguez gegen Honduras, der im Jahr 1988 vor dem vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte entschieden worden ist, wird allgemein als Leitentscheidung mit rechtsdogmatischer Bedeutung in Bezug auf das gewaltsame Verschwindenlassen angesehen. In dem Fall ging es um die Frage, ob der Staat Honduras die Entführung, Folterung, und den Tod des studentischen Aktivisten, Manfredo Velásquez Rodríguez, zu verantworten hatte. Es war die Frage zu beantworten, ob die Abwehrrechte aus Art. 4, 5 und 7 Amerikanischen Menschenrechtskonvention vom Staat Honduras verletzt worden waren, entweder aufgrund einer Entführung durch die honduranischen Streitkräfte oder durch Duldung der Entführung durch die Regierung – ausgeführt von de-facto Organen. Das Gericht entschied zugunsten des Antragstellers, und die honduranische Regierung wurde aufgefordert, Angel Manfredo Velásquez-Rodríguez, dem nächsten Angehörigen des Verschwundenen, Schadenersatz zu zahlen. Im Verfahren konnte nachgewiesen werden, dass die Entführer*Innen im Auftrag des Militärs gehandelt hatten und dass in Honduras in der ersten Hälfte der 1980er Jahre eine von staatlichen Kräften betriebene oder tolerierte Praxis des Verschwindenlassens von Regimegegnern betrieben worden war. Dies war das erste Mal, dass die amerikanische Menschenrechtskonvention verwendet wurde, um Regierungsbeamte für die Aktionen paramilitärischer Organisationen zur Rechenschaft zu ziehen, mit denen sie stillschweigend verbündet waren. Der wegweisende Fall, ebnete den Weg für die Interamerikanische Konvention gegen das „Verschwindenlassen“ von Personen aus dem Jahr 1994, die lange vor der entsprechenden UN-Konvention gegen das „Verschwindenlassen“ aus dem Jahr 2006 verabschiedet wurde und bisher 15 Vertragsstaaten aufweist.

1992 stand das Thema erneut auf der Tagesordnung der UNO-Generalversammlung. Sie verabschiedete eine Erklärung über den Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, die Bezug nimmt auf die zahlreichen bereits bestehenden Menschenrechtsschutzbestimmungen und das gewaltsame Verschwindenlassen als „schwere und offenkundige Verletzung der Menschenrechte“, aber auch als „Verneinung der Ziele der Charta der Vereinten Nationen“ bezeichnet. In 21 Artikeln legt die „Erklärung“ den Staaten dann präzise Pflichten zur Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Verschwindenlassens auf. Erstmals wird in der Erklärung auch international klargestellt, dass das Verschwindenlassen „als Dauerdelikt anzusehen“ ist, „solange die Täter das Schicksal und den Aufenthaltsort des Verschwundenen verheimlichen und diese nicht geklärt sind.“ Damit wird der lebenslange Schmerz und die lebenslange Angst und Verunsicherung der Angehörigen der Verschwundenen gewürdigt. Mit diesem Argument eines andauernden Verbrechens haben später viele Gerichte Amnestien der Täter für illegal erklärt, solange diese nicht Auskunft über das genaue Schicksal der Verschwundenen gaben.

Die Erklärung von 1992 war ein wichtiger Schritt, der auch ein Jahr später von der Wiener Weltkonferenz über Menschenrechte aufgegriffen wurde. Sie war aber noch nicht die rechtsverbindliche Ächtung des Verbrechens. Sowohl die Arbeitsgruppe als auch die Subkommission der UNO-Menschenrechtskommission arbeiteten daher auch an Entwürfen einer Konvention, also eines verbindlichen Vertragswerks gegen das Verschwindenlassen.

Sodann setzte man sich im Jahre 2003 nachdrücklicher mit der Erarbeitung eines derartigen internationalen Übereinkommens auseinander. Über 70 Staaten, mit Frankreich und Argentinien an herausragender Stelle, dazu zahlreiche Nichtregierungsorganisationen und nicht zuletzt die Vertretungen der Opfer aus zahlreichen Ländern beteiligten sich an dem Prozess der Formulierung der Konvention. Sie wurde dann Ende 2006 von der Generalversammlung verabschiedet und den Staaten zur Zeichnung vorgelegt. Vier Jahre später hatten 20 Staaten die Konvention ratifiziert, und damit wurde sie, am 23. Dezember 2010, rechtsgültig – allerdings nur für die Mitgliedstaaten. Im Mai 2020 wurde die Konvention insgesamt von 98 Staaten unterschrieben, von denen sie 62 Staaten ratifiziert haben.

UN-Konvention gegen Verschwindenlassen

Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, wurde am 20. Dezember 2006 von der UN-Generalversammlung verabschiedet. Für Vertragsstaaten der Konvention gilt es als es ein rechtsverbindliches Instrument gegen das Verschwindenlassen von Personen. Gemäß Artikel 1 der Konvention soll niemand Opfer einer solchen Praxis werden. Die Konvention kennt dabei keine Ausnahmesituationen: weder Krieg, Kriegsgefahr, politische Instabilität noch ein anderer öffentlicher Notstand darf als Rechtfertigung zum Verschwindenlassen von Personen herangezogen werden. Das Übereinkommen ist am 23. Dezember 2010 in Kraft getreten. Eine deutsche Übersetzung der UN-Konvention findet sich hier.

Konkret werden Vertragsstaaten verpflichtet, das Verschwindenlassen von Personen durch die Gesetzgebung zu verbieten und unter Strafe zu stellen. Außerdem werden ihnen präventive Verpflichtungen auferlegt: die geheime Haft wird verboten, Freiheitsentzug darf nur in offiziell anerkannten und überwachten Einrichtungen stattfinden, in denen alle Gefangenen registriert sind, das Recht jedes Häftlings, die Verfassungs- oder Gesetzmäßigkeit seiner Festnahme vor Gericht anzufechten wird garantiert, sowie das Recht, Informationen über Gefangene zu erhalten. Weiter sichert die Konvention das Recht auf Wahrheit und auf Wiedergutmachung für Opfer und deren Angehörige, sowie das Recht, Vereine und Organisationen für den Kampf gegen das Verschwindenlassen zu gründen. Die Konvention regelt auch die unrechtmäßige Entführung von Kindern, deren Eltern Opfer der Praxis des Verschwindenlassen wurden, sowie die Fälschung der Identität dieser Kinder und deren Adoption.

Welche Rechte werden verletzt?

Das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen verletzt eine ganze Reihe von Menschenrechten, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert und in den Internationalen Menschenrechtspakten und anderen wichtigen Instrumenten des humanitären Völkerrechts niedergelegt sind. Unter anderem werden folgende Rechte in Fällen von gewaltsamen Verschwindenlassen verletzt:

  • das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person;
  • das Recht auf Anerkennung als Person vor dem Gesetz;
  • das Recht auf ein faires und ordentliches Gerichtsverfahren;
  • das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, einschließlich Wiedergutmachung und Entschädigung;
  • das Recht auf Identität und Familienleben, insbesondere für Kinder;
  • das Recht, nicht der Folter oder einer anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden;
  • das Recht auf Leben im Falle des Todes der verschwundenen Person;
  • das Recht, die Wahrheit über die Umstände des Verschwindenlassens zu erfahren.

Das Verschwindenlassen kann darüber hinaus schwerwiegende Verstöße gegen internationale Instrumente beinhalten, die nicht die Form einer Konvention haben, wie z.B. die im Jahr 1957 vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen verabschiedeten Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen, die sogenannten Nelson-Mandela-Regeln, sowie den Verhaltenskodex für Strafverfolgungsbeamte (1979) und das von der Generalversammlung verabschiedete Grundsatzpaket zum Schutz aller Personen in jeder Form von Haft oder Gefangenschaft (1988).

So ist das Verschwindenlassen im Allgemeinen auch mit einer Verletzung verschiedener Rechte wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Art verbunden. Insbesondere kann das gewaltsame Verschwindenlassen besonders starke Auswirkungen auf die Ausübung dieser Rechte durch Angehörige der verschwundenen Person haben. Die Abwesenheit des bzw. der Hauptverdiener*In einer Familie beispielsweise bringt eine betroffene Familie oft in eine derart verzweifelte sozioökonomische Lage, dass die meisten der im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aufgeführten Rechte nicht verwirklicht werden können. Dazu gehören z.B.:

  • das Recht auf Schutz und Beistand für die Familie;
  • das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard;
  • das Recht auf Gesundheit;
  • das Recht auf Bildung.

Von den schweren wirtschaftlichen Entbehrungen, die häufig mit dem Verschwindenlassen einhergehen, sind Frauen häufiger betroffen, und es sind Frauen, die am häufigsten an der Spitze des Kampfes gegen das Verschwindenlassen von Familienmitgliedern stehen. Sie können Einschüchterungen, Verfolgung und Repressalien ausgesetzt sein. Wenn Frauen Opfer von Verschwindenlassen werden, sind sie besonders anfällig für sexuelle und andere Formen von Gewalt. Kinder können auch Opfer von Verschwindenlassen werden, sowohl direkt als auch indirekt. Das Verschwinden eines Kindes verstößt gegen mehrere Bestimmungen der Konvention über die Rechte des Kindes, darunter das Recht auf eine persönliche Identität. Ein Kind eines seiner Elternteile infolge seines Verschwindens zu berauben, stellt ebenfalls eine schwere Verletzung seiner Rechte dar.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Wenn das Verschwindenlassen in einem Land eine „ausgedehnte oder systematische Praxis“ darstellt, ist das Verschwindenlassen von Personen als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen und kann eine internationale Strafverfolgung nach sich ziehen. Dabei stehen der internationalen Gemeinschaft die Organe der Vereinten Nationen zur Verfügung.
(Internationales Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, Artikel 5)
(Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe i)

Der gesellschaftliche Umgang mit den Toten – eine Frage der Menschenwürde!

 

4.2. Gewaltsames Verschwindenlassen

 

Dieser Text ist Teil der Publikation „Der gesellschaftliche Umgang mit den Toten – eine Frage der Menschenwürde!“ der Deutschen Kommission Justitia et Pax. 

 

„Ein Verschwinden ist schlimmer als ein Tod, es ist schmerzhafter, glauben Sie mir.” (1)

Die Mutter aus dem mexikanischen Bundesstaat Guanajuato, die das sagte, musste es wissen. Denn sieben Jahre zuvor war ihr anderer Sohn bei einem Unfall gestorben, und damals dachte sie, es könne ihr nichts Schlimmeres im Leben widerfahren.

Uns als Außenstehenden, auch als solidarischen Begleitern, steht es nicht zu, über die Schwere von verschiedenen Menschenrechtsverbrechen, handle es sich um Folter, Mord, Verschwindenlassen oder anderes, vergleichend zu urteilen. Was die Mutter aus Guanajuato sagt, steht allerdings nicht allein. Die quälenden Folgen der Unsicherheit, des NichtWissens über das Schicksal einer entführten oder verschleppten „verschwundenen“ Person für die Angehörigen und ihr sonst Nahestehenden sind überall zu hören, wo das Verschwindenlassen zur schlimmen Praxis geworden ist. Und es war diese Verzweiflung, dieser besondere Schmerz, der auch nach Jahren nicht verheilen wollte, der in einigen Ländern, zunächst vor allem Lateinamerikas, dazu führte, dass die betroffenen Menschen den Verbrechen auch einen besonderen Namen gaben. Sie sprachen von den Opfern als „Verhaftet-Verschwundenen“ und von dem dahinterstehenden Verbrechen als „gewaltsamem Verschwinden“, oder in der deutschen offiziellen Rechtssprache vom „Verschwindenlassen“.

Es waren die Angehörigen, die für die vorher in Lateinamerika jedenfalls so massenhaft nicht gekannte Methode, politische Gegner zum Schweigen zu bringen und die ganze Gesellschaft mit Schrecken zu überziehen, nicht nur einen Namen fanden, sondern auch mit ihren nie nachlassenden öffentlichen Fragen und Forderungen „Wo sind sie?“ oder „Lebend habt ihr sie geholt, lebend wollen wir sie wieder!“ dem Kampf gegen das Verschwindenlassen einen Platz im öffentlichen Bewusstsein schufen. Und bald auch einen neuen Rechtsbegriff und neue menschenrechtliche Normen zur Bekämpfung des Verschwindenlassens. Wenn man in die großen menschenrechtlichen Dokumente der Nachkriegszeit wie die Universelle Erklärung der Menschenrechte oder Konvention gegen den Völkermord von 1948 schaut, aber auch Jahrzehnte später in den internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte blickt, wird man keine Erwähnung des Verschwindenlassens finden. Es waren tatsächlich erst das massierte Auftreten des Verschwindenlassens als bewusster Strategie staatlicher Repression ab etwa den siebziger Jahren in Lateinamerika und die mutigen und nicht nachlassenden Anklagen der Opfer dagegen, die auch Gerichte und internationale Menschenrechtsinstanzen wie die UNO dazu brachten, für das Phänomen des Verschwindenlassens einen eigenen Rechtsbegriff zu entwickeln.

1988 formulierte der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof das weltweit erste Urteil über einen Fall des Verschwindenlassens, in dem auch explizit der Begriff („Forced Disappearance“) gebraucht wurde. Da ein solcher Tatbestand aber noch in keinem Rechtstext existierte, beschrieb ihn das Gericht als „multiple und fortdauernde Verletzung“ zahlreicher in der Interamerikanischen Menschenrechtskonvention garantierter Rechte, insbesondere des Rechts auf Leben, auf Schutz vor willkürlichem Freiheitsentzug, vor Folter und anderen grausamen Behandlungen. Das Gericht erkannte auch, dass „langanhaltende Isolation und Entzug von Kommunikation selbst eine grausame und inhumane Behandlung darstellen, die die psychologische und moralische Integrität der Person verletzt und damit eine Verletzung des Rechts eines jeden Gefangenen auf seine Würde als menschliches Wesen darstellt.“ (Inter-American Court of Human Rights: Case of VelásquezRodríguez v. Honduras, Judgment of July 29, 1988, Par. 156)

In den Jahren nach diesem wegweisenden Urteil erfolgten im interamerikanischen wie im internationalen Menschenrechtsschutzsystem Resolutionen und Konventionen, die das Verbrechen des Verschwindenlassens genauer definierten und auch Auswirkungen auch auf die Angehörigen der Verschwundenen näher in den Blick nahmen. Die schon 1980 in der UNO eingesetzte Working Group on Enforced and Involuntary Disappearances (WGEID) erhielt damit ebenso eine völkerrechtlich gesicherte Arbeitsbasis wie die Interamerikanische Menschenrechtskommission. 2006 schließlich verabschiedete die UNO das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, das 2010 in Kraft trat und – Stand Mai 2023 – von 71 Staaten ratifiziert worden ist.

Schon im Velásquez-Rodríguez-Urteil und auch in den weiteren juristischen Dokumenten zum Verschwindenlassen findet sich regelmäßig eine doppelte Pflicht der Staaten, die den Kernforderungen der Familien entspricht: Das Schicksal („fate“) der verschwundenen Person aufzuklären und seinen Verbleib („whereabouts“) zu finden. Art. 24(2) der UN-Konvention bestimmt: „Jedes Opfer hat das Recht, die Wahrheit über die Umstände des Verschwindenlassens, den Verlauf und die Ergebnisse der Untersuchung und das Schicksal der verschwundenen Person zu erfahren.“ Die Aufklärung des „Schicksals“ beinhaltet also, logischerweise, auch die Klärung, wer für das Verschwindenlassen verantwortlich ist. Für die Familien geht es bei diesem Recht oft nicht in erster Linie darum, dass diese Verantwortlichen dann auch strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden – diese Konsequenz ist selbstverständlich und in der Konvention wie allen anderen einschlägigen Vereinbarungen festgeschrieben. Aufklärung des Schicksals bedeutet für die Angehörigen aber mehr: Sie wollen auch verstehen, wie es zu dem Verschwindenlassen kommen konnte, was die Täter zu dem Verbrechen bewog, ob es vielleicht hätte verhindert werden können und vieles mehr. Diese Fragen sind auch deswegen so brennend, weil sich die Angehörigen nicht selten gegen ausgesprochene oder unausgesprochene Vorwürfe wehren müssen, das Opfer selbst sei (mit)schuld an seinem Schicksal. Sich gegen die damit verbundene Stigmatisierung zu wehren, ist eines der wichtigsten Ziele der zahlreichen Organisationen von Angehörigen von Verschwundenen, wie eine aktuelle Studie der Jesuiten-Universität von Guadalajara in Mexiko belegt. (2) Es ist daher eine wichtige Forderung, dass die Aufklärung des „Schicksals“ der Verschwundenen sich nicht auf die Ermittlung der Täter beschränkt, sondern sich an diesem integralen Verständnis orientiert.

Die Pflicht, den Verbleib der verschwundenen Person zu klären, ist für viele Familien die wichtigste überhaupt. Der Schrei „Wo sind sie?“ ist überall zu hören, wo Angehörige von Verschwundenen sich zusammenfinden. Aber gerade diese Forderung wird von den betroffenen Staaten meist am wenigsten gehört. Leider widmen auch die rechtlichen Normen der Pflicht zur Ermittlung und Bestrafung der Täter mehr Aufmerksamkeit als der Pflicht zur Suche nach den Verschwundenen. Das gilt auch für das fortschrittlichste und am stärksten opferorientierte Instrument, das Internationale Übereinkommen von 2006, das detailliert die Pflichten der Staaten zur Untersuchung und Bestrafung des Verbrechens auflistet, während die Pflicht zur Suche nach den Verschwundenen Personen zwar benannt, aber weit weniger systematisch entwickelt wird. Der Vertragsausschuss (CED) hat daher 2019 „Leitprinzipien für die Suche nach verschwundenen Personen“ (UN-Dokument CED/C/7) verabschiedet, die das Recht der Opfer, gesucht zu werden, formulieren und die damit verbundenen Staatenpflichten detailliert beschreiben, einschließlich des Rechts der Angehörigen, an der Suche mitzuwirken. Ein großes Hindernis für eine effektive organisierte Suche ist dabei oft die ausschließliche Orientierung der Ermittlungsbehörden an der Täterermittlung. Dass sie auch eine Pflicht haben, die verschwundene Person zu finden oder wenigstens ihr Schicksal im Einzelnen aufzuklären, ist in vielen Ländern noch immer schwer zu erreichen. Immerhin gibt es z.B. in Mexiko inzwischen auch höchstrichterliche Entscheidungen in diesem Sinn. Der Entwurf für die kürzlich leider gescheiterte neue Verfassung von Chile hatte sogar ein Verfassungsrecht vorgesehen, wonach „jedes Opfer von Verschwindenlassen das Recht hat, gesucht zu werden und der Staat alle dafür nötigen Mittel bereitstellt.“ (Art. 22). Trotz des Scheiterns des Referendums über diese neue Verfassung unternimmt derzeit auch Chile eine erneute, diesmal systematischere Anstrengung, mit einem Nationalen Plan zur Suche nach dem Verbleib von Hunderten von Verschwundenen aus der Zeit der Diktatur zu klären, nach denen die Familien noch immer vergeblich suchen. Ähnliche Programme, ausschließlich zur Suche nach den Verschwundenen und ohne Anbindung an die strafrechtlichen Ermittlungsbehörden, sind in den letzten Jahren auch in Mexiko, Kolumbien, El Salvador und Peru entstanden. Sie zeugen von einem wachsenden Bewusstsein für die Dringlichkeit und auch für die staatliche Pflicht der Suche.

Diese von der Justiz getrennten Institutionen zur Suche sind aber nur ein Schritt in die richtige Richtung, vor allem können sie die Justiz nicht von ihrer Pflicht befreien, auch ihrerseits alle Umstände des Verschwindenlassens, einschließlich des Verbleibs der verschwundenen Personen, aufzuklären. Die Suchkommissionen sind vor allem geeignet, einem Problem bei der strafrechtlichen Aufklärung von Verschwindenlassen abzuhelfen: Zwar ist das Verschwindenlassen, wie auch die UN-Konvention (Art. 8) bekräftigt, als ein Verbrechen zu behandeln, das so lange fortbesteht, wie es nicht aufgeklärt ist, was u.a. Folgen für die Verjährbarkeit nach sich zieht. Für die Strafverfolgungsbehörden endet ein Verfahren dennoch, wenn entweder ein Täter vor Gericht gebracht wird oder wenn sie zu dem Schluss kommt, dass weitere Ermittlungen zu keinem Ergebnis führen werden. Mit dem Ende des Strafverfahrens enden dann aber auch die Bemühungen der Justiz, die verschwundene Person zu suchen. Genau das ist bei den unabhängigen Suchkommissionen ausgeschlossen, die sich an dem Grundsatz des UN-Leitprinzips 7 („Die Suche ist eine andauernde Verpflichtung“) orientieren. Es besteht aber kein systematischer Grund, dass dieses Recht der verschwundenen Personen selbst und ihrer Angehörigen nicht auch von den Ermittlungsund Justizbehörden gewährleistet werden könnte bzw. müsste. Daran muss und kann gearbeitet werden. Ein Beispiel, dass das auch möglich ist, ist die kolumbianische Sonderjustiz für den Frieden, die bei der Suche eng mit der unabhängigen Suchkommission zusammenarbeitet.

Beides, die Ermittlung der Täter und ihrer Motive und das Auffinden der verschwundenen Person, gehören zusammen, wie die Präambel zur UN-Konvention formuliert, „in Bekräftigung des Rechtes jedes Opfers, die Wahrheit über die Umstände eines Verschwindenlassens und das Schicksal der verschwundenen Person zu erfahren, sowie des Rechtes auf die Freiheit, zu diesem Zweck Informationen einzuholen, zu erhalten und zu verbreiten.“ Die Konvention erinnert damit an die Ursprünge des inzwischen fest verankerten „Rechts auf Wahrheit“ als eines sehr konkreten Rechts der Opfer von Verschwindenlassen, das dann allmählich erweitert und präzisiert wurde.

 

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1 „Una desaparición es peor que una muerte, es más dolorosa, créanme. Yo sé de qué hablo, mi hijo murió de un accidente…” (Zeugnis einer Mutter aus: Plataforma por la Paz y la Justicia en Guanajuato, Reencontrarte en la vida, 2021).

2 Centro Universitario por la Dignidad y la Justicia “Francisco Suárez SJ”, Nadie merece desaparecer. Diagnóstico sobre la estigmatización hacia las personas víctimas de desaparición, sus familiares y las organizaciones que las acompañan, Guadalajara (ITESO) 2022.

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Jeden Tag verschwinden Menschen auf der ganzen Welt spurlos. Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder werden verhaftet oder entführt. Sie werden an einem geheimen Ort gefangen gehalten, oft gefoltert und manchmal sogar getötet. Das Schicksal dieser Menschen ist ungewiss. Zu den Tätern gehören Regierungsbeamte, private Organisationen oder Einzelpersonen. Sie werden oft von der Regierung unterstützt. Manchmal handeln die Täter sogar im Auftrag der Regierung.

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Verschwindenlassen während der Haft: UN-Ausschuss schließt erstes Verfahren einer Individualbeschwerde ab

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Der UN-Ausschuss zum Schutz vor dem gewaltsamen Verschwindenlassen hat Kriterien für Verschwindenlassen in Haft definiert. Die Verlegung eines Inhaftierten in Einzelhaft, ohne dessen Angehörige oder Rechtsbeistand zu informieren bei gleichzeitiger Weigerung, über den neuen Aufenthaltsort Auskunft zu geben, entspricht geheimer Haft. Mit dieser Entscheidung in einem Einzelfall aus Argentinien hat der UN-Ausschuss sein erstes Individualbeschwerdeverfahren abgeschlossen.

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Ursprung des Verschwindenlassens? „Nacht und Nebel“ – Mythos & Bedeutung

Ursprung des Verschwindenlassens? „Nacht und Nebel“ – Mythos & Bedeutung

Der „Nacht-und-Nebel“-Erlass von Adolf Hitler war die Grundlage für eine Praxis des NS-Regimes, Gegner aus dem besetzten westeuropäischen Ausland nach Deutschland zu bringen, zu isolieren und verschwinden zu lassen. Die „Nacht- und Nebel“-Aktionen der Nazis gelten vielfach als Ursprung des gewaltsamen Verschwindenlassens, was allerdings nur bedingt zutrifft. Im Nürnberger Prozess wurde aber das Perfide des Verschwindenlassens bei „Nacht und Nebel“ schon recht genau analysiert und bestraft.

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