Maskachkanin – Estoy buscando
Fotoreportage:
“Maskachkanin” („Ich bin auf der Suche“) sagten Angehörige von Verschwundenen auf Quechua, wenn sie sich auf Schutthalden oder an anderen Orten trafen, an denen sie die Leichen ihrer Lieben vermuteten. Während des internen bewaffneten Konflikts in Peru (1980-2000) wurden über 20.000 Menschen Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen. Diese Fotoreportage zeigt und erklärt die verschiedenen Phasen der Suche, Exhumierung, Identifizierung, Rückgabe der sterblichen Überreste an die Angehörigen und Beerdigung von Verschwundenen. Die meisten der gezeigten Fotos stammen aus dem am stärksten von der Gewalt betroffenen Distrikt Chungui im Department Ayacucho.
Text: Edilberto Jiménez Quispe, Priska Palacios, Sabrina Schopf, 16. Dezember 2021
Fotos: Edilberto Jiménez Quispe, Priska Palacios, Murat Tebatebai
Während des internen bewaffneten Konflikts in Peru (1980-2000) war Ayacucho das am stärksten von der Gewalt betroffene Department. 1980 begann eine maoistisch inspirierte Abspaltung der Kommunistischen Partei Perus, die sich zum „Leuchtenden Pfad“ erklärt hatte, den Aufstand mit dem Ziel, den Staat und die soziale Ordnung durch einen sogenannten Volkskrieg zu zerstören.
Ende 1982 verhängte die peruanische Regierung den Ausnahmezustand und installierte ein politisch-militärisches Kommando in Ayacucho. Im ganzen Department wurden Militärstützpunkte aufgebaut und ein weitreichendes Geheimdienstsystem eingerichtet. Im Kampf gegen die Aufständischen organisierte das Militär zunehmend Selbstverteidigungspatrouillen. Die Bevölkerung war massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Massaker, willkürliche Verhaftungen, Folter, Hinrichtungen und Racheakte waren an der Tagesordnung. Tausende wurden Opfer gewaltsamen Verschwindenlassens.
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Ergebnisse und Empfehlungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission
Drei Jahre nach dem Ende des bewaffneten Konflikts kam die Wahrheits- und Versöhnungskommission (Comisión de la Verdad y Reconciliación, CVR, 2001-2003) in ihrem Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass während dieser Zeit 69.280 Personen ermordet oder „verschwunden“ wurden. Sie ging davon aus, dass in ganz Peru ungefähr 7.400 Personen gewaltsam verschwanden und dass der Staat das Verschwindenlassen als Strategie des antisubversiven Kampfes einsetzte. Die Mehrzahl der Opfer gehörte der bäuerlichen quechuasprachigen Bevölkerung an.
Seit den 1980er Jahren suchen Familien unermüdlich nach ihren verschwundenen Angehörigen. In einigen Fällen erhielten sie Unterstützung und Begleitung durch Menschenrechtsorganisationen. Die CVR empfahl die Schaffung einer Nationalen Kommission für verschwundene Personen (Comisión Nacional de Personas Desaparecidas) sowie die Erstellung und Umsetzung eines Nationalen Plans für anthropologisch-forensische Untersuchungen (Plan Nacional de Investigaciones Antropológico-Forenses).
Die Suche nach Verschwundenen
Als eine Antwort auf die Empfehlungen der CVR wurde 2003 beim Gerichtsmedizinischen Institut der Staatsanwaltschaft das so genannte „Spezialisierte Forensikteam“ EFE (Equipo Forense Especializado) aufgebaut. Im EFE arbeiten Spezialisten und Spezialistinnen verschiedener Disziplinen: Rechtsmedizin, Sozialanthropologie, forensische Archäologie, forensische Anthropologie, forensische Zahnmedizin und forensische Fotografie. Neben dem EFE können – auf Anordnung der Staatsanwaltschaft – Exhumierungen auch von der Nichtregierungsorganisation EPAF (Equipo Peruano de Antropología Forense) durchgeführt werden. Zudem wurde ab 2004 auf nationaler Ebene ein System provinzübergreifender Staatsanwaltschaften aufgebaut, die auf Terrorismus und Menschenrechte spezialisiert sind. Deren Aufgabe ist es, Fälle extralegaler Hinrichtungen und gewaltsamen Verschwindenlassens zu untersuchen mit dem Ziel, Verantwortlichkeiten festzustellen und die Täter zur Verantwortung zu ziehen.
Auch die Suche nach den verschwundenen Personen gehört zu den Rechtspflichten der Ermittlungsbehörden. Diese Arbeit stößt aber immer wieder an ihre Grenzen. Der oft überlasteten Staatsanwaltschaft werden insbesondere seitens der Streitkräfte und der Polizei prozessrelevante Informationen vorenthalten. Mitunter fehlt es der zuständigen Staatsanwaltschaft am Willen zur Aufklärung. Manchmal sind einfach keine Mittel vorhanden, zum Beispiel für die Tankfüllung oder die Fahrzeugreparatur, die notwendig wären, um betroffene Dörfer zu erreichen. Auch die harten geografischen, klimatischen und infrastrukturellen Bedingungen, unter denen das Spezialisierte Forensikteam seine Arbeit durchführen muss, stellen eine Herausforderung dar.
Der gesamte Prozess der Suche nach Verschwundenen findet in einem Postkonfliktkontext statt. Es gibt Konflikte zwischen Dorfgemeinschaften und einzelnen Personen. Diese haben ebenso eine langfristige Wirkung wie individuelle und kollektive Traumata. Davon ausgehend und angesichts der begrenzten Arbeit der Staatsanwaltschaft beförderten viele Akteure unter Einbeziehung internationaler Empfehlungen einen humanitären Ansatz bei der Suche. Dazu gehören Vereinigungen von Angehörigen Verschwundener, Menschenrechtsorganisationen, der peruanische Menschenrechtsombudsmann ebenso wie das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK). Den Familienangehörigen soll eine Antwort über das Schicksal oder den Verbleib der verschwundenen Personen gegeben werden. Dieser Ansatz versteht sich als integral und beinhaltet eine psychosoziale Begleitung sowie materielle und logistische Unterstützung. Die Angehörigen sollen während des ganzen Prozesses der Suche, Identifizierung, Restitution (Rückgabe der sterblichen Überreste an die Angehörigen) und Inhumierung (Beerdigung) aktiv beteiligt werden. Der humanitäre Ansatz kann unabhängig von der Arbeit der Staatsanwaltschaft erfolgen, diese aber auch ergänzen.
Auf Grundlage des 2016 verabschiedeten Gesetzes zur Suche nach verschwundenen Personen während der Gewaltzeit von 1980-2000 wurde für die Umsetzung des humanitären Ansatzes im folgenden Jahr die Generaldirektion zur Suche nach verschwundenen Personen (Dirección General de Búsqueda de Personas Desaparecidas, DGBPD) gegründet. Diese verwaltet das Nationale Register verschwundener Personen (Registro Nacional de Búsqueda de Personas Desaparecidas, RENADE). Diese Datenbank zentralisiert, systematisiert und verarbeitet Informationen über verschwundene Personen, die im Lauf der letzten Jahrzehnte sowohl von staatlichen Institutionen als auch zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengetragen wurden. Laut dem letzten Bericht von Juli 2021 zählt RENADE 21.918 Verschwundene, 42% (9.205) von ihnen im Department Ayacucho. Es wurden 4.961 Begräbnisstätten identifiziert, von denen sich 82,9% in Ayacucho befinden.
In dieser Fotoreportage werden die verschiedenen Phasen von Exhumierungsprozessen gezeigt und erklärt: Vorbereitende Arbeiten, Exhumierung, Identifizierung, Rückgabe der sterblichen Überreste an die Angehörigen, Transport, Gedenkveranstaltungen und Beerdigung. Die Fotos wurden überwiegend im Rahmen des Projektes Apoyo para la Paz aufgenommen, das mit Mitteln des Programms Ziviler Friedensdienst (ZFD) von 2009-2016 in Ayacucho durchgeführt wurde. Insbesondere konzentriert sich die Fotoreportage auf den Distrikt Chungui, wo das Team von Apoyo para la Paz über mehrere Jahre mit dem Bürgermeister, kommunalen und Gemeindeverwaltungen sowie Schuldirektoren arbeitete. Aufgrund der lokalen Kenntnisse und Kontakte bat die Staatsanwaltschaft Apoyo para la Paz darum, das EFE während der Exhumierungsprozesse zu begleiten.
Chungui: Am stärksten von der Gewalt betroffen
Der Distrikt Chungui liegt auf einer Höhe zwischen 800 und 4.800 Metern Höhe und besteht aus Gebirge, Tälern, Schluchten, Hochebenen sowie tropischem Nebel- und Regenwald. Noch immer fehlt in Chungui weitgehend eine soziale und technische Infrastruktur. Für die 220 km von der Distrikthauptstadt in die Stadt Ayacucho benötigt man mit einem eigenen Fahrzeug noch immer sieben Stunden. Innerhalb des Distrikts sind stunden- und manchmal auch tagelange Fußmärsche nötig, um von einem Dorf zum nächsten zu gelangen.
Anfang der 1980er Jahre lebten in Chungui 8.257 Menschen. Innerhalb von 12 Jahren verlor Chungui nach Angaben der Wahrheits- und Versöhnungskommission fast die Hälfte seiner Bevölkerung. Laut RENADE sind in Chungui 703 Personen – d.h. rund 8,5% der Bevölkerung – Opfer gewaltsamen Verschwindenlassens geworden; 320 Beerdigungsstätten wurden gezählt. Das Spezialisierte Forensikteam hat in Chungui bislang die Überreste von 502 Individuen exhumiert, von denen 349 identifiziert und 338 an ihre Angehörigen übergeben werden konnten.
Kein anderer Distrikt in Peru war so massiv von der systematischen Gewalt während des internen bewaffneten Konflikts betroffen wie Chungui. Die Bevölkerung war vielfach Teil des Konfliktgeschehens und hatte öfter auch die Fronten gewechselt. Viele sind Täter und Opfer in einem. Das macht es umso schwieriger und erfordert eine sehr sensible Arbeit, das Einverständnis und die Unterstützung der Dorfbevölkerung und der Verantwortlichen zu bekommen, um die Exhumierungen durchzuführen.
Der „Leuchtende Pfad“ drang Anfang der 1980er Jahre von zwei Seiten in Chungui ein und erklärte es zur „roten Zone“. Als Reaktion hierauf errichtete das Militär Stützpunkte und organisierte Selbstverteidigungspatrouillen. Aufgrund seiner Form auf der Landkarte gaben die Streitkräfte dem Distrikt Chungui den Namen „Hundeohr“ (Oreja de Perro), der bis heute beibehalten wird.
Zeichnung: Edilberto Jiménez Quispe
Aufnahme der Ante-Mortem-Daten
Die Suche nach Verschwundenen ist ein langer und komplexer Prozess, bei dem eine Vielzahl von Akteuren beteiligt ist: Die Angehörigen der Verschwundenen, die Dorfbevölkerung, traditionelle und gewählte politische Vertreterinnen und Vertreter der Dorfgemeinschaften, verschiedene lokale, regionale und nationale Behörden sowie zivilgesellschaftliche Organisationen.
In dieser wegweisenden ersten Phase werden die sogenannten Ante-Mortem-Daten aufgenommen. Sie beinhalten allgemeine Daten der Auskunft gebenden Person, Informationen über die verschwundene Person sowie zu den Umständen ihres Verschwindens.
Vorbereitung der Exhumierungen
Nach der Aufnahme und Auswertung der Ante-Mortem-Daten finden zwei weitere Schritte statt, bevor die eigentlichen Exhumierungen beginnen können: Zum einen lässt sich das Spezialisierte Forensikteam von Mitgliedern der Dorfgemeinschaft zeigen, wo ihrer Vermutung oder Erinnerung nach Leichen verscharrt worden sein könnten. Sie erstellen daraus eine Übersicht, um die Exhumierungen zu planen. Zum anderen reist das Forensikteam, nachdem die Staatsanwaltschaft in Ayacucho die Exhumierungen terminiert hat, in die Dörfer, um mit den Gemeindeverantwortlichen und Angehörigen von Verschwundenen Details der bevorstehenden Exhumierungen abzusprechen.
Exhumierungen
In dieser Phase des Prozesses sind die Disziplinen forensische Archäologie, Zahnmedizin und Fotografie beteiligt. Die Exhumierungen werden im Beisein eines beauftragten Staatsanwalts oder Staatsanwältin durchgeführt.
Die Forensikerinnen und Forensiker sind bis zum Abschluss der Exhumierungen vor Ort. Sie übernachten in Gebäuden (z.B. ein Gemeindesaal), die ihnen seitens des Dorfes zugeteilt werden und die in aller Regel über keine sanitäre oder elektrische Infrastruktur verfügen. In einigen Fällen gibt es keine anderen Möglichkeiten, als die exhumierten Überreste in demselben Raum zu lagern, der als Schlafraum dient.
Transport der Überreste in das gerichtsmedizinische Labor
Die verfügbaren Ressourcen vor Ort sind knapp: Manchmal werden die menschlichen Überreste sogar in Kartons von Weihnachtsgebäck verpackt. Dies ist jedoch nur die geringste Hürde. Viele Dörfer und Exhumierungsstätten können nur zu Fuß erreicht werden. Oft müssen mehrere tausend Höhenmeter auf schmalen und steilen Bergpfaden überwunden werden. Erst nach stunden- und mitunter tagelangen Fußmärschen werden wieder Straßen erreicht, die von motorisierten Fahrzeugen genutzt werden können. Dort werden die Kartons und Werkzeuge dann zum Weitertransport auf geländegängige Pickups verladen.
Analyse und Identifizierung der exhumierten Überreste
Im gerichtsmedizinischen Labor in Ayacucho werden die exhumierten Überreste durch ein multidisziplinäres Team kleinteilig und umfassend analysiert. Ziel der unterschiedlichen labortechnischen Untersuchungen ist die Identifizierung der menschlichen Überreste und die Ermittlung der Todesursache. Im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden die exhumierten sterblichen Überreste und dabei gefundene Gegenstände zu Beweisstücken mit juristischer Relevanz.
Im Falle der Exhumierungen in Oronccoy widersetzten sich die politischen Vertreter und die Angehörigen dem Transport der exhumierten Überreste nach Ayacucho. Die Angehörigen wollten vermeiden, dass sie zur Restitution nach Ayacucho reisen müssen. Das IKRK hätte zwar ihre Reisekosten übernommen, aber für die mehrtägige Abwesenheit hätten sie für die Versorgung des Viehs und die Bestellung der Felder jemanden mit eigenen Mitteln beauftragen müssen. Das Spezialisierte Forensikteam akzeptierte diese Haltung und führte die Analysen bestmöglich vor Ort durch.
Die Überreste auf dieser Fotografie stammen von Menschen, die im Dorf Estacayuq in einem Haus eingeschlossen worden waren. Sie waren mit Granaten beworfen und mit Maschinengewehrsalven beschossen worden. Danach wurde das Haus in Brand gesetzt. Die Zersplitterung und die schwarze Färbung der Überreste zeugen davon. Auf dem Bild werden die Knochen und Überreste in Oronccoy in mühevoller Kleinarbeit analysiert.
Seit 2019 verwaltet die Generaldirektion zur Suche nach verschwundenen Personen eine DNA-Datenbank, die die genetischen Informationen der Familienangehörigen zentral speichert und verarbeitet. So erlaubt die Datenbank landesweit auch in Zukunft eine Identifizierung verschwundener Personen, deren enge Angehörige zwischenzeitlich ein hohes Alter erreicht haben und ihre Suche vielleicht zu Lebzeiten nicht beenden können.
Ausstellung von Kleidungsstücken
Viele der im Department Ayacucho verschwundenen Personen wurden willkürlich festgenommen und auf die Militärbasis „Los Cabitos“ in der Stadt Ayacucho verschleppt. Nur wenige verließen die Militärbasis wieder lebend. Auf dem ehemaligen zur Kaserne gehörenden Schießübungsplatz „La Hoyada“ wurden zwischen 2005 und 2010 die sterblichen Überreste von 109 Menschen exhumiert und erhebliche Mengen nicht mehr identifizier- oder quantifizierbarer verkohlter Leichenreste gefunden. Im Fall des Gerichtsverfahrens „Los Cabitos 83“ entschied die Staatsanwaltschaft, die exhumierten Kleidungsstücke der verschwundenen Personen auszustellen, in der Hoffnung, dass die Angehörigen diese wiedererkennen und dadurch zur Identifizierung der exhumierten Überreste beitragen können.
Bedauerlicherweise bedeutet dies nicht, dass ihre Suche ein Ende hat. Es war eine Taktik des Militärs, Festgenommene teils dazu zu zwingen, untereinander ihre Kleidung zu tauschen, bevor sie ermordet wurden. Dies erschwert heute die Identifizierung.
Dem zuständigen Staatsanwalt zufolge schütteten die Soldaten den Kalk auf die leblosen Körper, um die Verwesung zu beschleunigen und die DNA zu beschädigen. Damit sollte eine mögliche Identifizierung erschwert werden. Dieses Vorgehen ist bei gewaltsamem Verschwindenlassen gängig und wird auch in anderen Ländern angewendet.
Restitution und Gedenkveranstaltungen
Nach der Identifizierung im gerichtsmedizinischen Institut übergibt die Staatsanwaltschaft die menschlichen Überreste an ihre Familienangehörigen in eigens angefertigten kleinen weißen Särgen. Im Fall der folgenden Fotos von Januar 2013 handelt es sich mit 70 Exhumierten um eine der bisher größten Restitutionen in Peru. Für den offiziellen Akt auf dem Gelände der Staatsanwaltschaft in Ayacucho reisten Vertreter und Vertreterinnen des Justizministeriums, der Staatsanwaltschaft, der für die Entschädigung der Opfer zuständigen Behörde CMAN sowie verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen aus Lima an. In den Wochen zuvor begannen sich in Ayacucho mehrere Menschenrechtsorganisationen, Opfervereinigungen, städtische Behörden und das IKRK zu koordinieren, um die mehreren Hundert Angehörigen logistisch und emotional zu unterstützen. Hierzu gehörten psychosoziale Begleitung, Blumenschmuck für die Särge, Unterkunft und Verpflegung, eine Gedenkmesse in der Kathedrale, ein Gedenkmarsch im Stadtzentrum und der Transport der Angehörigen mit den jeweiligen Särgen in ihre Dörfer, um die Toten dort würdig zu begraben.
Die Angehörigen erhalten von der Staatsanwaltschaft zunächst die Sterbeurkunden, bevor ihnen die Särge übergeben werden. Die Urkunden sind für die Angehörigen ein wichtiges Dokument, mit welchem sie nun zum Beispiel Erb- oder finanzielle Angelegenheiten regeln, neu heiraten oder Kinder anerkennen lassen können.
Transport der Särge nach Chungui
Auch der Rücktransport der Särge mit den sterblichen Überresten der identifizierten gewaltsam Verschwundenen in ihre Heimatgemeinden in Chungui ist mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden. Viele der Busunternehmen verweigern die Beförderung von Särgen mit Toten, weil sie glauben, dies bringe Unglück. Den Angehörigen bleibt manchmal nur die Möglichkeit, leere Särge als Transportgut aufzugeben und unbemerkt die sterblichen Überreste – in einer Plastiktüte verpackt – als Handgepäck zu transportieren. Alternativ müssten sie teure Taxi- und Transportunternehmen beauftragen oder bei den lokalen politischen Vertreterinnen und Vertretern oder den zivilgesellschaftlichen Organisationen um Unterstützung bitten.
Für die Angehörigen ist die humanitäre Unterstützung des IKRK von großer Bedeutung. Auch eine finanzielle Beihilfe zu den Reise- und Verpflegungskosten gehört zu den vielfältigen Unterstützungsangeboten.
Die Organisation des Rücktransports erfordert manchmal einen großen finanziellen Einsatz, aber auch Kreativität in der Organisation. In diesem Fall stellten verschiedene Organisationen ihre Pickups zur Verfügung, um die Särge mit den menschlichen Überresten zu transportieren. Die Angehörigen selbst legten großteils den ersten Teil der Reise in Kleinbussen (im Hintergrund zu sehen) zurück.
Totenwache
Nach der Ankunft in Chungui wurden die Särge ins Gemeindezentrum gebracht. Angehörige, Dorfbewohner und –bewohnerinnen verbringen die Nacht dort, um zu beten und Abschied zu nehmen.
Inhumierung
Die Verschwundenen erhalten eine würdige Beerdigung auf dem Gemeindefriedhof. Für die Angehörigen bedeutet diese Phase den Abschluss der Suche nach den Verschwundenen. Sie haben nun einen Ort, an dem sie ihre verstorbenen Verwandten besuchen, mit ihnen sprechen, ihnen Blumen bringen und mit ihnen an Allerheiligen essen und feiern können.
Durch den internen bewaffneten Konflikt konnten vielerorts traditionelle Gebräuche nicht mehr vollzogen werden. In manchen Dörfern versuchen Überlebende und Rückkehrende inzwischen, alte Gewohnheiten wie zum Beispiel Beerdigungsriten wieder aufleben zu lassen.
Im Fall von Oronccoy wurden die Überreste von 64 Menschen beerdigt, von denen jedoch nur 17 identifiziert werden konnten. Bei weiteren drei Personen erkannten Angehörige die ausgestellten Kleidungsstücke. Die anderen 44 Personen wurden mit Codes in den Grabnischen beigesetzt, um sie möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt identifizieren zu können.
Epilog
In Peru wurde die Suche laut dem letzten Bericht von RENADE bei 7,4% der 21.918 verschwundenen Personen abgeschlossen: Sei es weil sie gefunden und ihre sterblichen Überreste an ihre Angehörigen übergeben wurden, sei es weil sie lebend gefunden wurden (39 Personen) oder sei es weil man die Suche symbolisch abgeschlossen hat, da alle Möglichkeiten der Suche ausgeschöpft waren.
Die Suche nach all den anderen Verschwundenen wird noch lange andauern. In rund 30% der Fälle sind Identität und Schicksal der verschwundenen Person bekannt und es gibt Vermutungen über ihren Verbleib. Hierin eingeschlossen sind Ermordete, über deren genaue Begräbnisstätte keine gesicherte Information vorliegt und Ermordete, die in geheimen Gräbern, deren Lage man ungefähr kennt, verscharrt wurden. Bei ungefähr 6% der Verschwundenen kann nicht ermittelt werden, wo sich ihre Überreste befinden, da ihre Körper in den Bergen und Schluchten zurückgelassen oder in Flüsse geworfen wurden. In etwa 34% der Fälle ist weder das Schicksal noch der Verbleib bekannt. Dies betrifft insbesondere festgenommene oder zwangsrekrutierte Personen. Zu weiteren 17% der registrierten Fälle sind zu wenige Informationen vorhanden, um sie klassifizieren zu können.