Videos: In einer Filmreihe zeigt der spanische Dokumentarfilmer Luis Cintora auf, welche Auswirkungen der interne bewaffnete Konflikt in Peru (1980-2000) auf die Opfer von staatlicher und terroristischer Gewalt und Angehörige von Verschwundenen im andinen Ayacucho hat und wie sie damit umgehen.

Priska Palacios 2. März 2021

Kein anderes peruanisches Departamento war so stark vom internen bewaffneten Konflikt betroffen wie Ayacucho. Als Reaktion auf den Aufstand des „Leuchtenden Pfades“, der zum Ziel hatte, die bestehende Gesellschaftsordnung durch einen „Volkskrieg“ umzustürzen, verhängte die peruanische Zentralregierung unter Präsident Belaunde Terry Ende 1982 den Ausnahmezustand. In Ayacucho wurde ein politisch-militärisches Kommando eingerichtet. Im ganzen Departamento wurden Militärstützpunkte aufgebaut und ein umfassendes Geheimdienstsystem etabliert. Die Bevölkerung wurde pauschal verdächtigt, subversiv zu sein. Sie litt unter massiven Menschenrechtsverletzungen: willkürliche Verhaftungen, Folter, extralegale Hinrichtungen und Verschwindenlassen.

Der berüchtigste Militärstützpunkt ist als „Los Cabitos“ bekannt und liegt am Rand von Huamanga, der Hauptstadt des Departamentos. Der danebengelegene ehemalige Schießübungsplatz, La Hoyada, wurde zum geheimen Massengrab umfunktioniert. Dort begruben die Soldaten die Ermordeten, andere warfen sie in die umliegenden Bergschluchten. Weitere Festgenommene brachten sie zu anderen Militärstützpunkten, wo man sie verschwinden ließ. 1985 ordnete General Mori, politisch-militärischer Chef in Ayacucho, den Bau eines Krematoriums an, um die seit 1983 in La Hoyada verscharrten Leichen wieder auszugraben, zu verbrennen und somit endgültig verschwinden zu lassen.

Bereits 1983 gründete sich die Organisation ANFASEP (Nationale Vereinigung von Angehörigen von Entführten, Verhafteten und Verschwundenen Perus). Dieser Zusammenschluss vor allem von Frauen machte es sich zur Aufgabe, nach ihren vom Militär verschleppten Familienangehörigen zu suchen. Bis heute kämpft ANFASEP zusammen mit anderen Organisationen der Zivilgesellschaft darum zu erfahren, was mit ihren Angehörigen geschehen ist, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden und die Opfer Entschädigung für das erlittene Leid erhalten. Ebenso fordert ANFASEP, dass am Ort des Geschehens – La Hoyada – eine Gedenkstätte an die Opfer der Gewalt errichtet wird.

In ihrem Abschlussbericht kam die peruanische Wahrheits- und Versöhnungskommission (2001-2003) zu dem Ergebnis, dass während des bewaffneten Konfliktes 69.280 Menschen getötet bzw. Opfer von Verschwindenlassen wurden. Sie ging damals von 7.399 Verschwunden im ganzen Land aus. Diese Zahl wird seitdem immer wieder nach oben korrigiert. Inzwischen geht die 2017 eingerichtete staatliche Generaldirektion für die Suche nach verschwundenen Personen von fast 22.800 Verschwundenen aus, davon rund 42% in Ayacucho (Stand: Dezember 2020). Von den Exhumierten in Ayacucho konnten bislang über 12% identifiziert und an ihre Angehörigen zur Beerdigung übergeben werden.

2005 begann das Gerichtsmedizinische Institut der Staatsanwaltschaft in Ayacucho auf massiven Druck der Zivilgesellschaft auf dem ehemaligen Schießübungsplatz La Hoyada Exhumierungen durchzuführen. In den darauffolgenden fünf Jahren wurden die Überreste von 109 Menschen exhumiert, darunter Kinder und hochschwangere Frauen. Darüber hinaus fanden die Forensiker erhebliche Mengen nicht mehr identifizier- oder quantifizierbarer verkohlter Leichenreste. Sie schätzten, dass mindestens 500 Menschen ermordet und verbrannt worden sind.

Audiovisueller Beitrag zur Aufarbeitung der Gewaltzeit

In diesem Kontext kam Luis Cintora (geb. 1976 in Malaga) zum ersten Mal 2005 nach Ayacucho, um in einem Heim für Waisen und behinderte Kinder einen Freiwilligendienst zu leisten. Zunehmend lernte er Menschen kennen, die ihm – als Außenstehendem – davon berichteten, was sie während des Konfliktes erlebt hatten. Bereits damals hatte er die Idee, die Berichte und Aussagen mit einer Kamera zu dokumentieren, ohne sich vorstellen zu können, was daraus folgen und wie diese Erfahrungen seinen weiteren Weg beeinflussen würden.

Seine Erlebnisse veranlassten Luis Cintora, von Beruf ursprünglich Literaturwissenschaftler und Filmhistoriker, den Masterstudiengang „Menschenrechte und Soziale Erinnerung“ zu absolvieren und unter anderem in der audiovisuellen Abteilung des Erinnerungsmuseums in Santiago de Chile und für EPAF (Peruanisches Team für Forensische Anthropologie) in Peru und Somaliland zu arbeiten.

In den Jahren 2012 und 2013 produzierte er zwei Filme über die durch den Leuchtenden Pfad begangene Gewalt und ihre Folgen: „Las huellas del Sendero“ (The Footprints of the Shinning Path, spanisch mit engl. UT, 63 Minuten)

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und „El Expreso Cabanino“ (spanisch, 15 Minuten).

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Mit dem Dokumentarfilm „Te Saludan los Cabitos“ über das brutale Vorgehen des Militärs und der Geheimdienste wollte Luis Cintora eigentlich die Trilogie über den bewaffneten Konflikt in Ayacucho abschließen. Auf Anfrage und Bitten von Opfervereinigungen und Menschenrechtsorganisationen hält er sich jedoch weiter regelmäßig in Ayacucho auf und hat inzwischen eine Reihe von Dokumentarfilmen über die während des bewaffneten Konflikts begangenen Verbrechen und ihre Auswirkungen auf die Überlebenden und Angehörige von Verschwundenen in Ayacucho fertiggestellt. In seinen Filmen kommen alle Konfliktparteien zu Wort: Opfer und Täter, Wissenschaftler und Journalisten, ebenso wie Mitarbeitende von Organisationen, die sich in Peru für die Aufklärung der gewaltbelasteten Vergangenheit und die Bestrafung der Verantwortlichen einsetzen.

Luis Cintora versteht seine Filme als Beitrag, um den Prozess von Wahrheit, Gerechtigkeit, Entschädigung und Erinnerung zu begleiten und zu unterstützen. Die gefilmten Zeugenaussagen übergibt er den Opferorganisationen, damit diese über ein audiovisuelles Archiv verfügen. Mit dem Film „Te Saludan los Cabitos“ unterstützt er die Forderungen von ANFASEP und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen nach Schaffung einer Gedenkstätte in La Hoyada. Die Filme von Luis Cintora, die er weitestgehend selbst finanziert hat, liefen auf zahlreichen internationalen Dokumentar- und Menschenrechtsfilmfestivals und wurden vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem Publikumspreis des Film- und Menschenrechtsfestivals in Uruguay, dem Preis für den besten dokumentarischen Kurzfilm beim Menschenrechtsfilmfestival in Bogota oder den Preisen des Publikums und für die beste Kameraführung beim Erinnerungsfilmfestival in Madrid.

Es folgt eine kommentierte Liste einiger seiner Dokumentarfilme. Weitere seiner Filme können angeschaut werden auf: https://vimeo.com/luiscintora

Te Saludan los Cabitos / Es grüßen Dich die Cabitos (spanisch/quechua mit span. UT, 2015, 66 Minuten)
1983. Ausnahmezustand in Ayacucho (Peru). Das politisch-militärische Kommando installiert seine Operationsbasis im Militärstützpunkt „Los Cabitos“. Dieser Stützpunkt entwickelt sich schnell zum geheimen Zentrum für Gefangennahme, Folter, gewaltsames Verschwindenlassen und extralegale Hinrichtungen von Zivilpersonen, die verdächtigt sind, dem Leuchtenden Pfad anzugehören.
https://vimeo.com/121335898

Totos, memoria de un pueblo olvidado / Totos, Erinnerung eines vergessenen Dorfes (spanisch/quechua mit span. UT, 2016, 26 Minuten)
Nach der Vorabaufführung von „Te Saludan Los Cabitos“ wandte sich die Opfervereinigung des ayacuchanischen Dorfes Totos an Luis Cintora und bat ihn, auch einen Film über die Geschehnisse in diesem Dorf zu drehen. „Totos, memoria de un pueblo olividado“ ergänzt „Te Saludan los Cabitos“ und greift zum Teil auf darin verwendetes filmisches Material zurück. Eingebettet in einen Workshop zur kollektiven Erinnerung in Totos, berichten Dorfbewohner*innen vom Verschwindenlassen von Gefangenen aus dem Militärstützpunkt Los Cabitos und von den in ihrem Dorf begangenen Verbrechen und deren Konsequenzen.
https://vimeo.com/126590652

Ricardo regresa a casa / Ricardo kehrt heim (spanisch/quechua mit dt. UT, 11 Minuten, 2019)
35 Jahre lang suchte die Familie Carrión unermüdlich ihren verschwundenen Sohn, Vater, Ehemann und Bruder Ricardo. Nachdem seine Überreste in La Hoyada exhumiert und identifiziert worden waren, konnte seine Familie ihn endlich in sein Dorf bringen und dort beerdigen.
https://vimeo.com/476620167/eb417ff386

Minka de la memoria / Minka der Erinnerung (quechua mit dt. UT, 4 Minuten, 2019)
ANFASEP organisiert eine Minka (eine traditionelle Gemeinschaftsarbeit), um das Gelände von La Hoyada zu säubern und ihrer verschwundenen Angehörigen zu gedenken. Seit über einem Jahrzehnt fordern ANFASEP und andere Opfer- und Menschenrechtsorganisationen, dass in La Hoyada eine Gedenkstätte für die Opfer des internen bewaffneten Konflikts in Ayacucho errichtet wird.
https://vimeo.com/472176824/89f6e1496a

Teaser: Hualla, Pecado y Castigo /Hualla, Sünde und Strafe (spanisch/quechua mit span. UT, 1,27 Minuten, 2021)
Die Bewohner*innen des hochandinen Dorfes Hualla weihen eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die Opfer des internen bewaffneten Konflikts ein. Über 30 Jahre nach der Gewaltzeit, erinnern sie sich an das Drama, das sie durchleben mussten. Noch immer versuchen sie, die Folgen der Vergangenheit zu überwinden.
https://vimeo.com/460249861

Gedenkveranstaltung von ANFASEP am Brennstoffturm des Krematoriums in La Hoyada, dem geheimen Massengrab des Militärstützpunktes

Foto: © Martin Behringer

Gedenkveranstaltung von ANFASEP in La Hoyada, dem geheimen Massengrab des Militärstützpunktes

Foto: © Edilberto Jiménez

Auf einer Ausstellung der Kleidungsstücke von Exhumierten in La Hoyada erkennt eine Frau die Kleidung ihres verschwundenen Angehörigen

Foto: © Edilberto Jiménez

Nach einem Gottesdienst zu Ehren von vier Verschwundenen, die in La Hoyada exhumiert und vom Gerichtsmedizinischen Institut in Ayacucho identifiziert und an ihre Familien zurückgegeben wurden, ziehen Mitglieder von ANFASEP mit den Särgen durch in Innenstadt von Huamanga, um Gerechtigkeit zu fordern.

Foto: © Edilberto Jiménez

Vorführung der Vorabversion von „Totos: Memoria de un pueblo olvidado“ im Gemeindesaal von Totos.

Foto: © Edilberto Jiménez

Luis Cintora mit Angélica Mendoza, Gründerin von ANFASEP, während der Dreharbeiten in La Hoyada zu „Te Saludan los Cabitos“

Foto: © Edilberto Jiménez

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