In Ruanda und Uganda werden regierungskritische Stimmen systematisch zum Schweigen gebracht – auch durch gewaltsames Verschwindenlassen der Kritiker*innen. In anderen Fällen verschwinden ihre Familienangehörigen spurlos. Für diesen Artikel hat die Autorin mit Betroffenen in den beiden Ländern gesprochen.

von Andrea Barron, Torture Abolition and Survivors Support Coalition (TASSC) International, 07. April 2022

(Übersetzung aus dem Englischen: Kristina Stier)

Ins Augenmerk einer breiteren internationalen Öffentlichkeit geriet das Verschwindenlassen von Menschen erstmals während der Militärdiktaturen Lateinamerikas in den 1970er und 1980er Jahren. In Argentinien wurden die Mütter von Verschwundenen, die sich ab 1977 regelmäßig vor dem Präsidentenpalast in Buenos Aires versammelten (und daher als Madres de la Plaza de Mayo bekannt wurden), zum Symbol des Widerstands gegen das Verschwindenlassen und der Forderung nach der Wahrheit über den Verbleib der Verschwundenen.  

Definiert wird gewaltsames Verschwindenlassen heute in dem 2010 in Kraft getretenen Internationalen Abkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (International Convention for the Protection of all Persons from Enforced Disappearance, ICPPED) als „die Festnahme, der Entzug der Freiheit, die Entführung oder jede andere Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird.“ Die Gründe für das Verschwindenlassen von Personen sind vielfältig. Ziel ist oft, politische Dissident*innen oder diejenigen, die als solche gelten, einzuschüchtern und ihre Stimmen zum Schweigen zu bringen. Bisweilen sind auch bewaffnete nichtstaatliche Akteur*innen beteiligt, die Opfer werden oft gefoltert und getötet und nur wenige tauchen jemals wieder auf. Die Familienangehörigen erhalten meist keine Informationen darüber, was mit der verschwundenen Person passiert ist – sie bleiben in einem Zustand der Ungewissheit, in dem sie nicht wissen, ob ihre Angehörigen überhaupt noch am Leben sind, können ihre Angehörigen nicht beerdigen oder mit der Trauerarbeit beginnen. Einst gängige Praxis in Militärdiktaturen, kommt es heute in autoritären aber auch in formal demokratischen Systemen – wie z.B. in Mexiko – zum systematischen Verschwindenlassen von Personen.  

Das Internationale Abkommen verpflichtet die Vertragsstaaten u.a. zur Suche nach der verschwundenen Person, der Ermittlung der Umstände des Verschwindens, der angemessenen Bestrafung der Verantwortlichen und dazu, Maßnahmen zur Prävention des Verbrechens zu ergreifen. Bisher wurde das Abkommen erst von 68 Staaten ratifiziert (Stand 1. April 2022). Unter diesen sind auch 18 afrikanische Staaten, die dem Ausschuss des Abkommens Bericht erstatten.

Die beiden ostafrikanischen Länder Ruanda und Uganda sind dem Abkommen bisher nicht beigetreten. Aus beiden Ländern tauchen regelmäßig Bericht über das systematische Verschwindenlassen von Personen auf.

Ruanda

In Ruanda regiert Paul Kagame seit dem Jahr 2000 als Präsident. Seine Rebellen hatten im Jahr 1994 den Genozid, in dem mehr als 800.000 Tutsis und gemäßigte Hutus getötet wurden, beendet. Das Land ist seitdem de facto eine zentralistische Diktatur. Seit 1994 wurden zahlreiche Regierungskritiker*innen, darunter ehemalige Mitglieder der Regierungspartei Patriotische Front (Rwandan Patriotic Front, RPF) sowie politische Oppositionsführer und Überlebende des Genozids, inhaftiert und es wurden Berichte über das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen bekannt. Die UN-Arbeitsgruppe gegen gewaltsames oder unfreiwilliges Verschwindenlassen (WGEID) untersucht derzeit rund 25 Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen in Ruanda.  

Einer dieser Fälle wurde von Noël Zihabamwe, einem ruandischen Menschenrechtsaktivisten, der 2006 als Flüchtling nach Australien kam, zur Anzeige gebracht. Seine beiden Brüder, Jean Nsengimana und Antoine Zihabamwe, verschwanden am 28. September 2019, nachdem Noël ein „Angebot“ der ruandischen Regierung abgelehnt hatte, die ruandische Diaspora in Australien auszuspionieren. Wie die Australian Broadcasting Corporation berichtete, verfügt Ruanda über ein Netz von Agent*innen in ganz Australien, das Informationen über die Flüchtlingsgemeinschaft sammelt.

Noëls Brüder Jean und Antoine waren beide verheiratet, hatten Kinder und waren in keinerlei politische Aktivitäten verwickelt. Ihr Verschwinden hatte schwere psychologische und finanzielle Auswirkungen auf ihre Familien. Wie Noël der Torture Abolition and Survivors Support Coalition (TASSC) International, einer Anti-Folter-Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Washington DC, erzählt, leben er und die Frauen und Kinder seiner Brüder seitdem „in einem Klima von Ungewissheit und großer Angst“. Er fügt hinzu: „Die Kinder fragen ständig, wo ihre Väter seien. Niemand kann ihnen darauf eine Antwort geben. Wenn meine Brüder ermordet worden wären und wir ihre Leichen gefunden hätten, könnten wir sie wenigstens würdig begraben und jedes Jahr eine Gedenkfeier für sie abhalten.“

Um die Familien der vom Kagame-Regime verschwunden-gelassenen Ruanderinnen und Ruander zu vertreten, hat Noël die Rwandan Accountability Initiative gegründet: eine Organisation, die sich – wie ähnliche Initiativen in Lateinamerika, Asien, dem Nahen Osten und Europa – um Gerechtigkeit für die Angehörigen Verschwundener bemüht und in Subsahara-Afrika ein Novum darstellt. Seit sein Fall öffentlich wurde, haben sich hunderte von Menschen an ihn gewandt.  

Ein ähnliches Schicksal ereilte Innocent Bahati, einen prominenten jungen Dichter und Lehrer, der im Februar 2021 verschwand, nachdem er Gedichte über sensible Themen wie Armut und staatliche Unterdrückung veröffentlicht hatte. Über 100 Schriftsteller*innen und Künstler*innen wandten sich daraufhin in einem Brief an Präsident Kagame, um nach dem Verbleib von Innocent zu fragen. Die ruandischen Behörden reagierten nicht.

Wie Claude Gatebuke, ein bekannter Menschenrechtsaktivist und Überlebender des Völkermordes, der heute in den Vereinigten Staaten lebt, erzählt, gibt es noch weitere Fälle von verschwundenen ruandischen Dissident*innen. Diese hätten bisher jedoch weniger internationale Aufmerksamkeit erhalten als die Fälle von Innocent Bahati und den Brüdern von Noël Zihabamwe.

Uganda

Im nördlich von Ruanda gelegenen Uganda wurden im Vorfeld, während und nach den Präsidentschaftswahlen vom 14. Januar 2021 systematisch Menschen entführt, gefoltert und Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen. Präsident Yoweri Museveni kam im Jahr 1986 durch einen Militärputsch an die Macht. Der heute 77-Jährige regiert das Land mit eiserner Hand und stützt sich auf die Sicherheitskräfte, um Anhänger*innen der Opposition zu unterdrücken, häufig mit Gewalt. Wie Human Rights Watch im kürzlich erschienen Bericht „I only need Justice“ Unlawful Detention and Abuse in Unauthorized Places of Detention in Uganda berichtet, begannen die Entführungen im Jahr 2018 und nahmen mit den Wahlen im Januar 2021 dramatisch zu. Die Wahl war besonders umstritten, da Museveni einen starken Herausforderer hatte – Robert Kyagulanyi, ein beliebter Musiker, der in die Politik ging. Er ist auch unter dem Künstlernamen Bobi Wine bekannt.  

Bisher haben staatliche Agenten*innen hunderte Regierungskritiker*innen und Oppositionsanhänger*innen entführt, Menschen aus ihren Wohnungen oder von ihren Arbeitsplätzen weggeholt und in Fahrzeugen ohne Kennzeichen, sogenannten „Drohnen“, in „sichere Häuser“ gebracht. Dort werden die Entführten unrechtmäßig festgehalten, verhört und oftmals gefoltert.  

Die Entführungs- und Folteroperationen im Land werden durch den Inlandsgeheimdienst geleitet. Um ihn für seine „gute Arbeit“ zu belohnen, wurde der Leiter dieser Behörde kürzlich zum ugandischen Botschafter in Angola ernannt.  

Der Menschenrechtsverteidiger und Überlebende von Folter Ismael Serunjogi fürchtet, dass die Repressionen in diesem Jahr trotz der gestiegenen internationalen Aufmerksamkeit für die Menschenrechtsverletzungen noch zunehmen könnten, denn Museveni bereite seinen Sohn Muhoozi Kainerugaba, der kürzlich nach 28 Jahren in der Armee in den Ruhestand getreten ist, darauf vor, ihn abzulösen. Um Kainerugaba den Übergang zu erleichtern, müsse Museveni So viele Oppositionsanhänger*innen wie möglich zum Schweigen bringen.  

Appell an die internationale Gemeinschaft  

Menschenrechtsaktivist*innen wie Ismael aus Uganda und Noël und Claude aus Ruanda appellieren an die internationale Gemeinschaft, Druck auf die Regierungen dieser Länder auszuüben, um den Entführungen, der Folter und dem gewaltsamen Verschwindenlassen ein Ende zu setzen. Wichtig ist nicht nur, dass die beiden Länder das Internationale Abkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen ratifizieren, sondern auch, dass diejenigen, die darauf abzielen, regimekritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und mutige Menschenrechtsaktivist*innen und deren Angehörige bedrohen, kriminalisieren und verschwinden lassen, zur Rechenschaft gezogen werden. 

Andrea Barron ist Advocacy Programm-Managerin bei Torture Abolition and Survivors Support Coalition (TASSC) International, einer Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Washington DC, die sich gegen Folter einsetzt.

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