Der Mut der Yaneth Bautista

2. September 2025
Von Carlos Martín Beristain
Für Erik und Andrea

Ich stieg Mitte der 90er Jahre als Neuling in Kolumbien aus dem Flugzeug, um an der Gründung des Projekts der Peace Brigades International (pbi) in Kolumbien mitzuwirken. Wir kamen mit der Erfahrung aus El Salvador und Guatemala, wo wir Menschenrechtsverteidiger*innen, Gewerkschafter*innen, Gemeindevorsteher*innen und indigene Gemeinden begleitet hatten, die sich mit einer Gewalt aus Krieg und politischer Unterdrückung konfrontiert sahen, die Leben zerstörte, Existenzen bedrohte und Menschen verschwinden ließ.

Kolumbien war ein fast unbekannter Ort, abgesehen von den bekannten Stereotypen des Drogenhandels und der Guerillakämpfe, die wir aus Zentralamerika kannten, obwohl hier alles eine andere Komplexität hatte, die wir mit Staunen zu betrachten begannen.

An einem dieser ersten Tage ging ich mit meinem Freund Francesc zur Universität, um die Leute zu begleiten, die wir begleiteten. Die juristische Fakultät befand sich in einer dieser engen Straßen im Zentrum.

Dort warteten wir darauf, dass sie herauskam, und schauten uns um, um sicherzugehen, dass nichts Verdächtiges zu sehen war. Bogotá war damals nicht wie das San Salvador, das ich gekannt hatte, wo der Krieg in Schützengräben auf den Straßen stattfand und an jeder Ecke Tote lagen, aber es gab ihn auch hier.

Als sie endlich herauskam, lernte ich sie kennen: „Das ist Yaneth, die Vorsitzende der Vereinigung der Familienangehörigen von Verschwundenen und Verhafteten Kolumbiens, Asfaddes“, sagte Francesc zu mir.

Wir stellten uns vor und begleiteten sie. Auf halbem Weg hatten wir es eilig, anzukommen, weil sich alle Leute vor den Fernsehern versammelt hatten, um „Café“ zu sehen. Eine Telenovela mit einem Namen, der gut zum Kontext passte, dachte ich. Telenovelas waren zu dieser Zeit sowohl Flucht als auch Spiegelbild der Realität.

Ich arbeitete sehr eng mit Yaneth zusammen, in einer Zeit, in der sich die Angehörigen hinter den Türen von Asfaddes versteckten, weil die Drohungen von überall herkommen konnten. Obwohl die Verfolgung offensichtlich war, erfuhren wir später, dass der Geheimdienst DAS (Departamento Administrativo de Seguridad – Anm. der Übersetzerin) den Anführerinnen der Bewegung auf Schritt und Tritt folgte. Man kann sich fragen, weshalb ein Staat Familienangehörige verfolgt, die nach ihren Verschwundenen suchen. Nicht nur die der eigenen Familie, sondern auch die der anderen großen Familie, zu der die Vereinigungen der Familienangehörigen werden, wie die Comadres in El Salvador, die GAM oder Famdegua in Guatemala. Ich arbeitete mit Asfaddes zusammen, lernte ihre Familienangehörigen kennen und lernte von ihnen. Wir haben viele Workshops durchgeführt, die als Treffpunkt dienten, um über die Angst zu sprechen, sich gegenseitig zu unterstützen und die Erinnerung zurückzugewinnen.

Versammlungen, Treffen, Reisen hierhin und dorthin, immer mit einem Risiko verbunden und doch mit einem beschützten Licht in unseren Händen. Und das in einem Land, das seine Verschwundenen nicht anerkannte, trotz der Beweise für dieses System, das Pater Javier Giraldo mit den Angehörigen der Verschwundenen der Nationalen Universität erstellt hatte und das später als Fall 82 bezeichnet wurde. Er fasste die Geschichten jedes und jeder Einzelnen auf einem übersichtlichen Flipchart mit Pfeilen zusammen, die zeigten, wie die Verschwundenen miteinander in Verbindung standen, und dass dies nicht nur eine Angelegenheit der Diktaturen des Cono Sur oder der Kriege in Zentralamerika war.

Yaneth musste ins Exil gehen, eine dieser unsichtbaren Menschenrechtsverletzungen und gleichzeitigen Versuche, ihr Leben zu schützen. Sie arbeitete in Deutschland, recherchierte für Amnesty International in Zentralamerika, sammelte Zeugenaussagen von Opfern und Mitgliedern der Maras und nahm den Schmerz auf, den sie aus ihrem eigenen Leben kannte. Die Verfolgung und das Wissen um die Gräueltaten der Welt brachten sie nicht von ihrem Weg ab. Als sie nicht mehr bei Asfaddes bleiben konnte, suchte sie weiter nach Nydia Erika und brachte ans Tageslicht, dass ein General namens Velandia hinter dem Verschwinden ihrer Schwester Nidya Erika Bautista steckte. Die namentliche Nennung der Verschwundenen und die Ermittlung der Verantwortlichen führte auch zum Exil von Hernando Valencia, dem damaligen Staatsanwalt für Menschenrechte Kolumbiens, der diesen Fall untersuchte und nicht mehr zurückkehren konnte.

Ich erinnere mich an die Besuche bei Yaneth, an die Spiele mit Erik und Andrea. Die Arbeit in den Jahren 2002-2003 an „Zwanzig Jahre Geschichte und Kampf für die Verschwundenen in Kolumbien” war das kollektive Gedächtnis von Asfaddes in diesen ersten zwanzig Jahren und auch ein Vermächtnis, an dem wir gemeinsam gearbeitet haben. Yaneth fand ihre Schwester trotz der Lügen, die sie eine nach der anderen aufdecken musste, trotz der Drohungen, des Exils, der Rückkehr, um neu anzufangen, und sie hatte trotz ihrer Krankheit noch genug Kraft, um diesen Kampf in anderen Regionen Kolumbiens mit anderen Namen und Hüten, in vielen weniger bekannten Fällen von Verschwindenlassen, wieder voranzutreiben.

Das letzte Treffen der Wahrheitskommission, als wir den Abschlussbericht vorbereiteten, fand mit ihr und ihrer Organisation statt, mit diesen Frauen, die von weit herkamen, aus abgelegenen Regionen, die vernachlässigt werden, um über die Empfehlungen der Kommission zur Suche nach den Verschwundenen zu sprechen. Wir haben ihre Worte aufgeschrieben, und aus diesen Notizen entstanden mehrere der Empfehlungen, die Teil dessen sind, was wir als Vermächtnis bezeichnen.

Das Vermächtnis der Kommission ist mit Vermächtnissen wie dem ihren verwoben. Danach teilte ich mit Yaneth den letzten Abschnitt ihres Lebens mit der Beratungskommission für die staatliche Politik zur Suche nach Verschwundenen, die ich vor zwei Wochen verlassen musste. Yaneth hat weitergemacht, mit ihrer Sauerstoffflasche, bis zu ihrem letzten Atemzug. Gestern (am 1. September – Anm. der Übersetzerin) ist sie gestorben, am selben Tag, an dem Staatsanwalt Hernando ins Exil gehen musste. Einen Tag nach dem 30. August, dem Gedenktag für die Opfer des Verschwindenlassens. Ein Kampf, der ihr ganzes Leben geprägt hat. Danke, Yaneth.

Übersetzung aus dem Spanischen: Françoise Greve