Statt Aufklärung Haft: Familienangehörige von gewaltsam Verschwundenen sind in Ägypten willkürlich inhaftiert. Hanan Badr El-Din und Ibrahim Metwalla Hegazy, zwei Gründungsmitglieder der Organisation „Association of the Families of the Disappeared“ werden seit 2017 in Hafteinrichtungen festgehalten. In Ägypten hat die Praxis des gewaltsamen Verschwindenlassens seit 2015 zugenommen. Die ägyptischen Sicherheitsbehörden gehen mit äußerster Brutalität gegen Oppositionelle und Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger vor.

Amnesty International berichtet über die Menschenrechtsverletzungen in dem 2016 veröffentlichten Bericht „Egypt: ‘Officially, you do not exist’: Disappeared and tortured in the name of counter-terrorism“. 1 Zahlreiche Personen, darunter Studierende, Demonstrierende, politische Aktivisten und sogar Kinder werden willkürlich inhaftiert und Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen. Die meisten Verhaftungen erfolgen zudem unter Missachtung rechtsstaatlicher Standards. Den Inhaftierten wird in der Regel jeglicher Kontakt zur Außenwelt verwahrt. Sie werden oft von Mitgliedern der Sicherheitskräfte gefoltert und (sexuell) missbraucht. . Erzwungene Geständnisse bilden dann unter Verweis auf das Anti-Terror Gesetz eine Basis für Verurteilungen. 2

Auch die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen „Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances (WGEID)“ berichtete auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen im November 2017 von 52 Fällen von gewaltsamem Verschwindenlassen, die mit der Bitte um Aufklärung an die ägyptische Regierung weitergetragen worden sind.3  Die entsprechenden Personen wurden entweder von uniformierten oder in zivil-gekleideten Beamten der nationalen Sicherheitskräfte (Militär, Polizei oder Nationaler Sicherheitsdienst) festgenommen und verschwanden danach. Die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen gegen das Verschwindenlassen hat sich 2017 in 52 Fällen mit Eilaktionen (urgent action) an die ägyptischen Behörden gewendet, in sechs weiteren Fällen hat die Arbeitsgruppe die Regierung um Aufklärung über den Verbleib der verschwundenen Personen angefragt. Die Arbeitsgruppe hat im Berichtszeitraum den Verbleib von 10 Personen geklärt.4 Die ägyptische Regierung hat bis heute dem bereits 2011 beantragten Besuch der Arbeitsgruppe vor Ort nicht zugestimmt.

Im Fall von Ibrahim Metwalla Hegazy intervenierte die Arbeitsgruppe wegen staatlicher Repressalien durch die Behörden. Sicherheitskräfte verhafteten Ibrahim Metwalla Hegazy am 12. September 2017 am Flughafen in Kairo.5 Hegazy war auf dem Weg nach Genf, um bei der WGEID-Sitzung teilzunehmen 6. Hegazy war gewaltsam verschwunden. Erst nachdem Kollegen ihn im Gebäude der Staatsanwaltschaft gefunden hatten, veranlassten die Behörden eine offizielle Untersuchungshaft 7. Er wird im berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis Tora gehalten, das für Folter und unmenschlichen Verhörmethoden bekannt ist. Ihm wird vorgeworfen eine “illegale Organisation” gegründet zu haben und „falsche Informationen zu verbreiten“. 8 Hegazy ist Mitgründer der “Association of the Families of the Disappeared” 9, einem Netzwerk für betroffene Familien deren Angehörige Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen sind. Unter den ca. 1,300 Fällen von verschwundenen Menschen, die seine Organisation in den letzten drei Jahren dokumentierte, befindet sich auch sein Sohn.

Auch die Mitgründerin der „Association of the Families of the Disappeared“, Hanan Badr El-Din wurde am 6. Mai 2017 von Polizeibeamten, während des Besuchs eines Opfers von Verschwindenlassen im Qantar-Gefängnis verhaftet. Dort bemühte sie sich Informationen über ihren verschwundenen Ehemann zu erhalten, der 2013 Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen wurde.10 Die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen gegen das Verschwindenlassen sowie weitere Instanzen. Zum Internationalen Tag der Opfer des Verschwindenlassens am 30. August 2017 forderten zehn Menschenrechtsorganisationen, unter anderem Amnesty International, die ägyptischen Behörden auf, die sogenannte „Präventivhaft“ gegen Hanan Badr el-Din fallen zu lassen. 11

Die ägyptische Kommission für Rechte und Freiheiten (Egyptian Commission for Rights and Freedoms – ECRF) dokumentierte zwischen August 2016 und August 2017 ca. 378 Fälle von gewaltsam verschwundenen Personen. In 87 Fällen ist der Verbleib der Opfer bis heute nicht aufgeklärt. 182 Menschen waren zeitweise Opfer von Verschwindenlassen, und befanden sich danach in Gefängnissen. In diesen Fällen von zeitweisem Verschwindenlassen dauerte es mindestens vier Wochen, um den Verbleib der betroffenen Personen aufzuklären. Allein zwischen Januar und Mai 2017 sind 107 verschwundene Personen bei der ECFR gemeldet worden, davon sind ca. 11% Kinder. 12

Die ägyptische Regierung streitet die Vorwürfe ab und behauptet in Ägypten gäbe es keine Vorfälle von „Verschwindenlassen“. Der Justizminister Omar Marwan äußerte in einer Pressekonferenz im Dezember 2017, dass sich die dokumentierten Personen, zumeist aus verschiedenen Gründen in Haft befänden und niemand gewaltsam verschwinde. 13 Berichte bestätigen jedoch: das zeitweise Verschwindenlassen durch staatliche Behörden und spätere Auftauchen der Betroffenen in Hafteinrichtungen gängige Praxis in Ägypten ist und rechtsstaatliche Prinzipien systematisch verletzt werden.

Autorin:
N. M

Stand:
27.01.2017

Quellen

1 https://www.amnesty.org/en/documents/mde12/4368/2016/en/

2 https://www.amnestyusa.org/reports/egypt-officially-you-do-not-exist-disappeared-and-tortured-in-the-name-of-counter-terrorism/

3 http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/HRC/WGEID/113/1 UN: General Assembly on the 24th of November 2017 – Human Rights Council Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/HRC/WGEID/113/1

4 http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=22079&LangID=E

5 http://www.ec-rf.org/?p=2206

6 http://www.bbc.com/news/world-middle-east-41252663

7 http://www.sueddeutsche.de/politik/profil-ibrahim-metwally-hegazy-1.3669950

8 https://www.nytimes.com/2017/09/13/world/middleeast/egypt-lawyer-disappeared.html

9 https://www.facebook.com/Association-of-the-families-of-the-disappeared-1812764112275207/

10 http://www.ec-rf.org/?p=2060

11 https://www.amnesty.org/en/documents/mde12/7019/2017/en/

12 http://www.ec-rf.org/wp-content/uploads/2017/05/%D8%A7%D9%84%D8%A7%D8%AE%D8%AA%D9%81%D8%A7%D8%A1-%D8%A7%D9%84%D9%82%D8%B3%D8%B1%D9%8A.pdf

13 https://www.egypttoday.com/Article/1/37852/No-one-disappeared-forcibly-in-Egypt-Legal-Affairs-Min

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